Deutsche Senioren-Einzelmeisterschaften 2023

in Bad Wildungen/Kassel – ein Turnierbericht von Burkhard Zühlke

Mit (nur) 113 Teilnehmern war es ein zahlenmäßig schwach besetztes Turnier; hinsichtlich der Spielstärke allerdings eher gegenteilig: Mit Startrang 49 hatte ich fast die Hälfte aller Teilnehmer vor mir. Offensichtlich führte die Absage am sonst üblichen Spielort Magdeburg und die sehr kurzfristige Wiederausschreibung in Bad Wildungen dazu, dass nur die „Ehrgeizigen“ noch Lust auf das Turnier hatten und ihren Terminkalender dahingehend anpassen wollten.
Kurz zusammengefasst:  der Turnierverlauf (-erfolg)  war für mich gegensätzlich:
In den Runden 1-5 (3,5/5) konnte ich sehr zufrieden sein (eine Niederlage in Runde 3 gegen IM Brüggemann war einkalkuliert, aber dennoch nicht notwendig. Das Remis in Runde 5 gegen FM Schumacher ärgerte mich; es hätte mit Mehrbauer im Läufer/Springerendspiel ein ganzer Punkt werden können)
In den Runden 6-9 (1/4) verfiel ich dagegen in „Weihnachtsstimmung“und verschenkte etliche Male ganze/halbe Punkte.
Im Resüme bleiben immerhin noch eine Eloperformance von ca. 2060 und ein zartes Eloplus von +18 Punkten; beides ist der schon erwähnten starken Gegnerschaft geschuldet.

Hier einige Highlights:

Runde 2:    Rahls, P. (FM 2214) - Zühlke (1980)     0:1

1.e4 d6 2. d4 Sf6 3. Sc3 g6 4. g3 Lg7 5. Lg2 0-0 6. Sge2 Sbd7 7. h3 c5 8. 0-0 Tb8 9. Le3

Im bekannten Fianchettoaufbau gegen die Pirc-Verteidigung wird üblicherweise das Gegenspiel von Schwarz am Damenflügel zunächst mit 9. a4 „ausgebremst“. Dies zwingt zu 9. … b6 (wegen der positionellen Drohung a5) und dem langsameren Vorgehen mit a6/b5.
Weiß hatte es jedoch eilig und wollte gleich im Zentrum aktiv werden:
9. … b5 10. e5!?

Nach 10. … de5:  war jedoch 11. dc5:!? b4 12. Sa4 Da5

für Weiß eher zweifelhaft, wie mein  Gegner nach der Partie auch bestätigte.
Den Vormarsch des c-Bauern kann man kontrolliert stoppen und Schwarz behält im Zentrum die eindeutige Übermacht.

13. b3? (besser z.B.c4) Td8 14. De1 Dc7! (alles unter Kontrolle!) 15. c6 Sf8 (der Springer greift via e6 wieder ins Spiel ein)
16. f4? Sd5 17. Lf2 ef4: 18. Ld5: Td5: 19. Sf4: Td6 20. Td1 e5 21. Sd5 Td5:!

Beseitigt die Deckungsfigur des weißen Trumpfbauern auf c6  und holt sich die Qualität im nächsten Zug mit Bauerngewinn zurück.
Damit ist strategisch für Schwarz alles bestens gelaufen.
Mit 22. Td5: Lh3: 23. De3 Lf1: 24: Kf1: Dc6: 25. Dd2 Se6
26. La7:?? Da6+   0:1

ging es für Weiß dann auch sehr schnell dem Ende entgegen.

Runde 3:    Zühlke (1980) – Brüggemann (IM 2287) 0:1

1. d4 Sf6  2.c4 e6 3. g3 Lb4+ 4. Ld2 De7 5.Lg2 Sc6 6.Sf3 Ld2:+ 7. Sbd2 d6 8. 0-0 e5 9. d5 Sb8 10. e4 0-0  11. b4 a5 12. a3 Lg4  13. Dc2 Sa6

14. Tab1?!
Im Sinn der folgenden Strategie wäre hier sofort 14. Dc3 die bessere Wahl gewesen, da der weiße Turm zur a-Linie zurückkehren wird (muss).

Es ging so weiter:
14….ab4: 15. ab4: c5 16. dc6: e.p. bc6: 17. h3 Lf3: 18. Lf3: c5  19. b5 Sb4  20. Dc3 g6

So, nun ist Dame doch auf c3 gelandet und im nächsten Zug kehrt auch der Turm reumütig auf die a-Linie zurück.
Weiß hat einen gedeckten Freibauern, aber einen schwachen weißfeldigen Läufer. Schwarz versucht seinen Springer irgendwie auf d4 zu manövrieren. Weiß will dies verhindern:

21. Ta1 Tab8 22 Lg2 Se8 23. f4 Sc7 24. f5 (nimmt das wichtige Feld e6 ins Visier) 24. … f6
Dies ergibt immerhin schon ein Stellungsplus von 0.95 für Weiß.
Ein einfacher Vorbereitungszug (etwa 25. Db3) wäre nun im Sinne der folgenden Absicht notwendig und angebracht gewesen.
Übereilt zog ich jedoch 25. Ta7??

und beachtete damit den einfachsten und naheliegendsten aller möglichen Springerabzüge nicht, nämlich 25. … Sb5: !

Dies kostete den weißen Trumpfbauern b5; die Stellung bleibt trotzdem einigermaßen im Remisbereich (-0.40): man kann mit dem Turm auf der 7. Reihe den Bauern zurückgewinnen.
Da bekanntlich ein Fehler aber nie alleine kommt, gestattete ich dem schwarzen Turm zudem noch den Zutritt über die a-Linie ins weiße Lager. Jetzt wurde die Übermacht der schwarzen Springer erdrückend.
26. Te7: Sc3: 27. fg6: hg6: 28. Te6 Tbd8 29. Tef6: Tf6: 30. Tf6: Kg7 31. Tf3 Se2+ 32. Kh2? Ta8

33. Tf2 Sd4 34. Lf1 Ta2 35. Kg2 Sbc2 36. Kg1 Se1! 37. Kh1 g5 38. h4 g4 39. Th2 Ta1 40. Tf2 Td1
Jetzt mangelt es Weiß schon an sinnvollen Zügen; ich befand mich mit drei Figuren quasi im Zugzwang.
41. Kg1 Td2:!           0:1



Ein symptomatisches Beispiel aus der schwächeren zweiten Turnierhälfte:

Runde 7:    Knaak, J. (2121) - Zühlke (1980)     1:0

1.d4 Sf6 2. c4 g6 3. Sc3 Lg7 4. e4 d6 5. Le2 0-0 6. Sf3 e5 7. 0-0 Sc6 8. d5 Se7 9. Se1 Sd7 10. Sd3 f5 11. f3 f4 12. Ld2 g5 13. Tc1 Sg6 14. b4?

Dies ist in der (Neben-)Variante der Königsindischen Verteidigung nicht die übliche weiße Vorgehensweise, da der b4-Bauer die Aktivität des schwarzfeldrigen Läufers auf d2  behindert; dieser steht in der Hauptvariante auf f2 und unterstützt damit c5.
Weiß sollte stattdessen mit Sb5 und La5 den Zug …b6  provozieren, was das Feld c6 für eine weiße Figur „freischaufelt“; so zumindest die meisten Partieverläufe auf „höheren Ebenen“. Weiß verhielt sich im Folgenden zunächst ausschließlich passiv und lud Schwarz zum Königsangriff förmlich ein.

14. … Sf6 15. c5 Tf7 16. Le1 h5 17. Sf2 Lh6 18. Tc2 Tg7 19. Kh1 Sh4 20. h3 Kh7 21. Kh2 a6 22. Sd3!?

Weiß lädt zum Springeropfer auf g2  ein.
Meine Rechtfertigung dazu bestand in zweierlei Hinsicht:
Zum einen beseitigt man die Basis des weißen Verteidigungswalls h3, g2, f3; zum anderen beordert man den weißen Monarchen wieder auf die g-Linie zurück, wo er sich den Schachgeboten des Turmes ausgesetzt sieht.

22. Sg2: 23. Kg2: g4

Weiß hat nun verteidigungstechnisch die Wahl zwischen „König verstecken“ oder „Flucht zum Damenflügel“. Immerhin berechnet das Analyseprogramm ein Stellungsplus für Weiß (+0.90); die optimale Verteidigung muss man aber erst finden:
z.B. 24. Kh1 gh3: 25. Lh4! (nach Dg8 darf man zwar nicht auf f6 nehmen wegen Tg2; trotzdem hält offenbar die weiße Stellung)
In der Partie ging es anders weiter:

24. hg4: hg4: 25. Th1 gf3:+ 26. Kf3: Dg8 27. Lh4

Die weiße Verteidigungsstrategie folgt der Idee, dem weißen König eine Fluchtroute zum Damenflügel zu eröffnen (via f2 und e1)
Mit 27. … Tg2! kann man das Vorhaben jedoch ein für allemal unterbinden und Weiß kann praktisch aufgeben.
(Ankündigung des Analyseprogramms von Matt in acht Zügen)
Nun ja, es reicht ja, dass man Dg4++ sieht; Tg2 war dahingehend einfach und naheliegend.

Stattdessen war ich auf kompliziertere Varianten versessen und spielte 27. … Tg3+?!.
Dies ist immer noch gut für Schwarz, wenn man nach 27. Kf2 konsequent 27. … Lh3

(Analysediagramm) nachschiebt.
(z.B. 28. Lf3 Sg4+ 29. Lg4: Tg4:)
was ich jedoch (in Zeitnot) leider nicht tat und die Partie mit der Minderfigur schlussendlich noch verlor.

Angesichts der schwachen Schlusshälfte kam ich mit meiner Eloperformance von 2060 noch einigermaßen glimpflich weg, hätte mir aber insgesamt etwas mehr erhofft. Mit etwas mehr an „Turnierkondition“ sollte es beim nächsten Mal vielleicht auch klappen.

Burkhard Zühlke

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